Cadet-Bootsbau mit Schülern in den 60er Jahren

Ausschnitt aus dem Interview von Johannes Raue, Roland Holl und Karl Schulze mit einem Redakteur der DDR Zeitschrift „Der Segelsport“ im Jahr 1960.

Vorbildliche Initiative in der Jugendarbeit

Der Bezirk­fach­aus­schuß Leipzig beriet am 9. Februar 1960 einen Vor­schlag seines Vor­sitzenden Johannes Raue, zur Ver­besserung der Massen- und Jugend­arbeit im Bezirk Leipzig eine größere Anzahl von Cadet-Booten in den Leipziger Schulen und Pionier­häusern unter Anleitung erfahrener Segler selbst zu bauen. Da die auch uns zugeleiteten Vor­schläge und Maß­nahme­pläne aus­gezeichnet waren, inter­viewten wir die mit der Durch­führung des Vor­habens be­trauten Sport­freunde Johannes Raue, Roland Holl und Karl Schulze, um Einzel­heiten über die Durch­führung dieses groß­zügigen Jugend­förderungs­progamms zu erfahren und die übrigen Bezirke anzuregen, den Leipziger Seglern nach­zueifern.

------Trenner-----Frage: Wie kamen Sie zu diesem Vorschlag?

Johannes Raue:
Wir brauchen in unserem Bezirk eine Ver­stärkung der Jugend­klassen und damit gleich­zeitig, im Durch­schnitt gesehen, eine Ver­jüngung unseres Mit­glieder­standes.
Nach meiner Ansicht sollte diese recht durch­greifend sein und sich durch Auf­nahme jüngster segler­ischer Jahr­gänge voll­ziehen. Die Ein­führung der Massen­sport­arbeit und die Aus­weitung des Jugends­ports ist darüber hinaus eine allge­meine, wesent­liche Forderung der Gegen­wart, die außer von unserem Sport­verband hier auch vom Bezirks­vorstand des DTSB gestellt wurde. Solchen Bestre­bungen kann man aber in unserem Sport nur nach Maß­gabe der tech­nischen Möglich­keiten, das heißt der verfüg­baren Boote, gerecht werden. Mein seit Jahren gehegter Wunsch, auf die Ein­führung inter­nationaler Boots­klassen zuzu­kommen, hatte sich bei den der­zeitigen Preisen für Finn und FD nicht ver­wirk­lichen lassen. Ich kam so zu Beginn dieser Jahres zwangs­läufig auf eine Vereinigung aller drei Dinge: des Massen­sportes unter den auf unsere Spor­tart bezogenen Umfangs­verhält­nissen, des Jugend­sportes, bezogen auf die jüngste Alters­stufe, also den Schüler­segel­sport und die Anwendung der inter­nationalen Cadetjolle als gegebenes Sport­gerät für die jüngsten Segler mit den Aussichten, dieses Boot in nationalen und inter­nationalen Vergleichen segeln zu können. Wie später noch zu erläutern ist, lassen sich in ein solches Vorhaben auch erzieherische und sport­erzieherische Bestre­bungen ein­flechten. Dem Gedanken und Ent­schluß ließ ich die Aus­arbeitung von 14 haupt­sächlichen organi­satorischen und technischen Vor­schlägen zur Kon­kreti­sierung der Idee und die Auf­stellung eines Maß­nahme­planes in 15 wesent­lichen Punkten folgen. Das aber nicht, ohne vorher eine Reihe von Infor­mationen ein­geholt zu haben, die die Vor­schläge und den Maß­nahme­plan auf den Boden der Realität stellen.
Die dann schrift­lich ausge­arbeiteten Vor­schläge mit Maß­nahme­plan fanden die volle Zu­stimmung des Vor­sitzenden des Bezirks­vorstandes des DTSB in Leipzig und aller Mit­glieder des Bezirks­fach­ausschusses Leipzig, und sicher werden meine Sport­freunde noch eine Reihe guter Ideen für die feineren Einzel­heiten der Verwirk­lichung beisteuern.
Die von mir vorge­schlagene Bildung eines Organi­sations- und Finanz-Aus­schusses und eines bau­tech­nischen Aus­schusses wurde voll­zogen, und die Sport­freunde Roland Holl und Karl Schulze als Leiter dieser Aus­schüsse und somit als Haupt­mit­arbeiter werden die wichtig­sten Züge meiner Vorschläge und geplanten Durch­führungs­maßnahmen darlegen.

------Trenner-----Frage: Wie soll das Vor­haben organi­satorisch abge­wickelt werden?

Roland Holl:
Die Vorschläge sehen vor, eine Schüler­segel­gruppe von 40 Jungen und Mädchen im Alter von 12 bis 14 Jahren aus den Leipziger Schulen in Zusammen­arbeit mit dem Schul­amt nach Empfeh­lungen des BFA auszu­wählen und mit diesem Schülern unter Anleitung von erfahrenen Seglern zehn Cadetboote zu bauen. Die Finan­zierung wird auf der Bezirks­ebene zusammen mit dem Bezirks­vorstand des DTSB betrieben. Die Boote bleiben Eigentum des BEA, werden aber zur Pflege und für das Winter­lager nach einem vorge­schlagenen Schlüssel an drei Leipziger Segel­sektionen verteilt. Die Finanz­mittel­beschaffung ist im wesent­lichen für die wich­tigsten Materialien, vor allem für die Sperr­holz­zu­schnitte, die großen Voll­holz­teile, die Spieren, die An­strich­mittel, das laufende Gut und die Segel vor­gesehen und für die Teile der Aus­rüstung, die nicht in Selbst­anferti­gung ent­stehen können, zum Bei­spiel Schwimm­westen*). Die rest­lichen Materialien und die Her­stellung von Boot­steilen, die für die Selbst­her­stellung durch Schüler nicht geeignet sind, sollen mit Hilfe von Betrieben und von anderen Spendern beschafft bzw. geschaffen werden. Die schwier­igeren Anteile der Beschlag­her­stellung und die Anker wollen wir in volks­eigenen und privaten Betrieben unter­bringen, die Näh­arbeiten für Segel­säcke und Takel­päckchen eben­falls. Der Plan gibt auch eine klare Vor­stellung von der finanziellen Auf­teilung und dem zeit­mäßigen Ablauf der gesamten Arbeit sowie von sämt­lichen irgend­wie voraus­seh­baren Einzel­heiten, zum Bei­spiel auch der Unter­bringung der Boote, der Aus­rüstung und der Gruppe selbst.

*) Dafür sind 1190 DM je Boot vorkalkuliert worden.

------Trenner-----Frage: Wie sollen die Boote gebaut werden?

Karl Schulze:
Die Vorschläge und der Maß­nahme­plan sehen vor, zunächst unter Mit­hilfe aller Bau­leiter und Schüler und der Vermesser ein oder zwei Boote gewisser­maßen im Lehr­bau herzu­stellen. Die weiteren neun bis acht Boote sollen dann von neun bzw. acht Schüler­gruppen je etwa fünf Schüler unter Auf­sicht jeweils eines Bau­leiters für zwei Boote entstehen. Der Plan verfolgt dabei die Absicht, die poly­tech­nische Aus­bildung der Schüler und den Wett­bewerbs­gedanken beim Bau und später der Pflege als pädago­gische Momente neben dem ersten Zweck der Übung, den Boots­bau selbst, zu stellen und in den jungen Seglern dabei die Freude am Selbst­geschaffenen und das Verantwortungs­bewußtsein gegenüber dem Sportgerät, gleich von Grund auf zu entwickeln. Bevorzugt sollen in die Gruppe Schüler aus der Station Junger Techniker auf­genommen werden, die in Leipzig Schiffs- und Flug­modell­bau betreibt. Die Boote müssen absolut klassen­rein sehr zuver­lässig und hand­werk­lich einwand­frei und ansehnlich gebaut werden. Das wird es mit sich bringen, daß gewisse für das Boot lebens­wichtige Arbeits­gänge vom Bauleiter selbst erledigt werden müssen.

------Trenner-----Frage Wie soll die sportliche Ausbildung der Schüler vor sich geben?

Johannes Raue:
Nach Indienst­stellung der Boote, die für das Früh­jahr 1961 vor­gesehen ist, werden auf jedes Boot vier Schüler einge­teilt. Sie werden regel­mäßig unter einem Gruppen­leiter vom zwei Übungs­leitern trainiert und dürfen die Boote nur unter Aufsicht benutzen, Alle Ange­hörigen der Gruppe müssen zur Ent­wicklung des Mann­schafts­geistes eine ein­heit­liche Sport­kleidung tragen, Vor­gesehen ist ein hell­blauer Trainings­anzug und ein weißes Takel­päckchen. Das Ziel der Aus­bildung ist zunächst der Befähigungs­nachweis für Binnen­fahrt, später die Ab­haltung von Vergleichs­kämpfen der Gruppen­mitglieder unter­einander und der Gruppen­besten gegen die Ver­treter anderer Reviere.
Um schon im Bau­jahr 1960, also vor der Indienst­stellung der Boote, die Schüler in die Segel­praxis einzu­führen und sie Freude an unserem Sport gewinnen zu lassen werden alle Leipziger Segler auf ihren privaten und volk­seigenen Booten im Sommer 1960 die Schüler zu Übungs­fahrten mit­nehmen.
Wir wissen, daß wir keine leichte Aufgabe vor uns haben und daß uns an Mühe und Arbeit nichts geschenkt werden wird. Aber ich bin sicher, daß wir alle vereint mit Energie und Aus­dauer das Werk schaffen werden, und wir hoffen, Ihnen im nächsten Jahr vom Abschluß des Boots­baues berichten zu können. Wir würden uns freuen, wenn unser Vor­haben in anderen Bezirken Nach­ahmer fände, damit die Cadetflotte wachse und unsere Jungen und Mädchen in nicht ferner Zukunft viel­fältige und starke aus­wärtige Konkurrenz finden.

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Die Redaktion „Der Segelsport“ wünscht den Leipziger Seglern für ihr beispiel­haftes Vor­haben viel Erfolg und hofft, daß es auch in den anderen Bezirken viele Nach­ahmer finden wird.

Die Vorstellungen unserer Sportfreunde wurden veröffentlicht in der Zeitschrift „Der Segelsport“ Jahrgang 1960 Heft 5 Seite 167 und 168.

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In der Ausgabe Der Segelsport Jahrgang 1966 Heft 7 Seite 98 wird berichtet:
„Der eigene Bootsbau umfaßt 7 Cadets (3 fertig, 4 im Bau) und 3 Optimisten (1 fertig, 2 im Bau)“

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